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Online-Magazin von mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz

Lesedauer ca. 4 Min.

Von den Fehlern anderer lernen

Kostensteuerung im KVG

Von den Fehlern anderer lernen

Mit der Einführung einer «Kostensteuerung» würde die Schweiz einen entscheidenden Schritt Richtung Globalbudgets im Gesundheitswesen machen. Und damit jenen Fehler begehen, den die neue Koalition in Deutschland dieser Tage zu korrigieren beschlossen hat. Der Ständerat hat es in der Hand, vom Nachbar zu lernen und Artikel 47c KVG abzulehnen.

In Deutschland sorgt die neue Ampel grad für ordentlich Gesprächsstoff unter der Hausärzteschaft. Grund ist die Absichtserklärung der Koalitionspartner, die Globalbudgetierung in der ärztlichen Grundversorgung rückgängig zu machen: «Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf», heisst es kurz und knapp.[i] Immer drückender wurden offenbar die negativen Folgen für die Patientenversorgung und das Gesundheitssystem.

Just in dem Moment also, als Deutschland sich auf den Weg macht, die Deckelung ärztlicher Leistungen fallen zu lassen, unternehmen Bundesrat und Parlament alles, um ein solches System in der Schweiz einführen zu können. Die Weichen dafür könnten bereits in der laufenden Wintersession gestellt werden. Während viel Fokus auf der «Kostenbremse-Initiative» und den «Zielvorgaben» (indirekter Gegenvorschlag) liegt, die der Bundesrat eben erst ans Parlament überwiesen hat, steht eine Massnahme aus dem ersten Kostendämpfungspaket nämlich bereits kurz davor, in den eidgenössischen Räten verabschiedet zu werden: Die so genannte «Kostensteuerung». Konkret: Ein neuer Artikel 47c KVG soll von den Tarifpartnern verlangen, dass sie fortan jährlich «gerechtfertigte» Kostenobergrenzen festlegen, ganz im Sinne der bundesrätlichen Zielvorgaben. Für den Fall, dass ein dergestalt definiertes Globalbudget nicht eingehalten werden kann, es also «ungerechtfertigt» überschritten wird, müssen Korrekturregeln vorgesehen werden. Das bedeutet nichts weniger als finanzielle Sanktionen im Rahmen von Tarifeingriffen.

Dieses Damoklesschwert drohender Tarifsenkungen entfaltet getarnt als «Kostensteuerung» die gleiche Wirkung wie fixe Budgetvorgaben: Ärztinnen und Ärzte werden faktisch dazu angehalten, ihren Patientinnen und Patienten «Leistungen vorzuenthalten, wenn sie finanzielle Sanktionen vermeiden möchten».[ii]

Die Erfahrungen aus Deutschland haben schon lange darauf hingewiesen, dass die Deckelung von Leistungen über ein Budget keine taugliche Massnahme ist gegen Kostensteigerungen. Im Gegenteil: Erstens ist sie gar nicht zielführend. Kosten werden verschoben, nicht gesenkt. Zweitens führt der gravierende Eingriff unvermeidlich zu Kollateralschäden im System. Ausbaden würden ihn die Patientinnen und Patienten. Auch das zeigen die deutschen Erfahrungen. Gleichzeitig würden Bundesrat und Parlament damit all die kleinen Fortschritte im Kampf gegen den Hausärztemangel aufs Spiel setzen, die in den letzten Jahren dank grosser Anstrengungen auf allen Seiten erzielt wurden. Das Signal wäre verheerend.

Dass sich die Ärzteschaft ihrer Verantwortung sehr wohl bewusst ist, die sie im Bereich der Tarife trägt, zeigt übrigens die Tatsache, dass sie dem Bundesrat zusammen mit Curafutura und der MTK mit «Tardoc» einen vollständig revidierten Einzelleistungstarif zur Genehmigung vorgelegt hat, der auch verbindliche Korrekturmechanismen vorsieht. Dass die Ärzteschaft Teil des Problems sei statt der Lösung, ist eine Mär, die nicht wahrer wird, wenn man sie ständig wiederholt.

Angesichts der Kehrtwende in Deutschland und angesichts des tarifpartnerschaftlichen Reformwillens wäre es ein politisches Unding, würde der Ständerat jetzt eine Kostensteuerung beschliessen. Zu hoffen bleibt, dass er – wie der Nationalrat – wenigstens damit wartet, bis die Räte die Vorlagen über die «Kostenbremse-Initiative» und die «Zielvorgaben» beraten. Und dass Bundesrat und Parlament mit Blick auf den deutschen Nachbar von den Fehlern lernen, die andere grad im Begriff sind, wieder zu korrigieren.

 

[i] https://www.aerztezeitung.de/Politik/Hausaerzten-winkt-Ende-der-Budgetierung-424628.html (30.11.2021)

[ii] https://saez.ch/article/doi/saez.2021.20365 (30.11.2021)